Es war vor Zeiten ein Mann, der wohnte in Lausanne. Und obwohl es ihm da nicht übel gefiel, übersiedelte er eines Tages nach Kiel. Doch blieb er auch dort wohnen nicht und zog , auf Neues stets erpicht, nach Amsterdan, nach Rotterdam, nach Osnabrück, nach Kehl, nach Hamm, nach Basel, Iserlohn, Paris, wo er sogar ein ganzes Jahr sich niederließ. Das war ihm wider die Natur, er fuhr per Schiff nach Singapur, und dort verlor sich seine Spur, bis endlich man in Samarkand den Weitgereisten wiederfand. Er wohnte, jetzt an achtzig alt, noch kurze Zeit in Mittenwald, in Oberunterammergau, (wie lange, weiß man nicht genau), und zog dann wieder nach Lausanne - da starb der Mann. Drauf sagten, die ihn dort begraben: "Das konnte er bequemer haben". Der Tote aber lächelte weise und begab sich auf seine weiteste Reise.
aus: Rudolf Otto Wiemer, Sehnsucht der Krokodile - Fabeln, Herodat LiteraturVerlag, Göttingen1985 (c) Rudolf Otto Wiemer Erben, Hildesheim